Ein bissl Sisi, ein Schuss Mozart, eine Prise Türkenbelagerung: Das moderne Österreich hat eine Reihe von identitätsstiftenden Versatzstücken aus der Geschichte hinaus in die Popkultur gezerrt, mit denen es sich bequemt leben – und dunkle Kapitel vergessen – lässt. Eines der Versatzstücke, das es vielleicht gerade noch in ein kollektives Geschichtsbewusstsein geschafft hat, ist die Buchstabenfolge "A.E.I.O.U." des spätmittelalterlichen Habsburgerherrschers Friedrich III., das auch nach seiner Zeit viele Wappen, Gebäude und Dokumente prägte.

Hunderte Deutungen

Bis heute umgibt die von ihm geprägte Vokalfolge ein großes Rätsel. An die 300 Deutungsmöglichkeiten sind bekannt, nur eine Handvoll davon wird mit dem historischen Friedrich in Zusammenhang gebracht. Die Frage ist: Gibt es überhaupt die eine, wahre Auflösung? Darüber ist man sich in der Forschung nach wie vor nicht einig, auch wenn im Vorjahr in Graz eine einschlägige Arbeit präsentiert wurde, die nicht zuletzt auch von der Landespolitik als des Rätsels Lösung hingestellt wurde.

AEIOU Inschrift Grazer Dom
Was bedeutet das AEIOU, das unter anderem auf dem Grazer Dom zu finden ist und auf Kaiser Friedrich III. zurückgehen soll?
Land Steiermark/Robert Binder

Die Buchstabenfolge sei eine Abkürzung für "En, amor electis, iniustis ordinor ultor", zu Deutsch etwa "Eingesetzt den Erwählten als ein Liebhaber, den Ungerechten als ein Bestrafer", glaubt der Historiker Konstantin Langmaier. Langmaier beruft sich unter anderem auf den Zinnaer Marienpsalter, ein Stundenbuch des gleichnamigen Klosters aus den 1490er-Jahren. Dort wird das als Lösung präsentierte En-Amor-Distichon in der Vorrede erwähnt.

Kritik an "Entschlüsselung"

Bei einem anderen Mittelalterexperten, Jörg Schwarz von der Uni Innsbruck, lösten die Berichte um die endgültige "Entschlüsselung" allerdings Unbehagen aus. Auch wenn neue Aspekte in die Forschung eingebracht worden seien, gebe es weiterhin keinen Beleg für eine von Friedrich präferierte Variante, hält er dagegen. "Es gibt nicht die eine Lösung, die man Friedrich zuschreiben kann. Wahrscheinlich ist weiterhin, dass die 1437 erstmals aufgetauchte Vokalfolge auch von ihm selbst in mehreren Bedeutungen verwendet wurde", sagt der Historiker.

Für Schwarz ändert sich am bisherigen Status quo der Forschung wenig. Die Entdeckung des Zinnaer Marienpsalters habe zwar eine neue interessante Quelle aus dem späten 15. Jahrhundert erschlossen, aus der hervorgehe, dass das Distichon als eine von Friedrich selbst gebrauchte Auflösung gelten könne, räumt Schwarz ein. "Jedoch: Diese Deutung war bereits auch aus vielen anderen Belegen bekannt", erklärt der Historiker.

Die wesentlichste Quelle sei nach wie vor das Notizbuch Friedrichs, in dem er bereits in seiner Zeit als steirischer Herzog familiäre, politische und finanzielle Anmerkungen sowie persönliche Reflexionen niederschrieb – wobei aber nicht immer klar ist, was von Friedrich stammt und was später hinzugefügt wurde. Bereits hier werden mehrere Auflösungen der Vokalfolge geboten, darunter auch die En-Amor-Variante und eine weitere, die sich mit "Alles Irdische hat seine Zeit" übersetzen lässt. Bereits auf der ersten Seite wird sie aber auch als "Austriae est imperare orbi universo" sowie dem deutschen Pendant "Alles Erdreich ist Österreich untertan" aufgelöst – was bis heute die populärste Variante blieb.

Komplizierte Wahrheitsfindung

Doch es bleibt kompliziert: Der bereits 1968 verstorbene Friedrich-Spezialist Alphons Lhotsky ging davon aus, dass das von Überschätzung und Größenwahn geprägte Motto nicht zum Charakter des historischen Friedrich passe. Er glaubte, dass die Ausformulierung der Abkürzung erst erheblich später im Notizbuch hinzugefügt worden sei. Ihm steht die Ansicht des 2013 verstorbenen Historikers Heinrich Koller entgegen, der dem frühen Friedrich durchaus das geeignete Majestätsbewusstsein zugestand, um sich "alles Erdreich untertan" zu machen. Eine dritte Position von Roderich Schmidt (gestorben 2011) präferierte dagegen die Variante "Alles Irdische hat seine Zeit".

Langmaier schlägt dagegen in dieselbe Kerbe wie der deutsche Historiker Friedrich Battenberg, der das En-Amor-Distichon als offizielle Herrschaftsdevise betrachtete, da es ab den 1440er-Jahren auch auf dem Hofgerichtssiegel Friedrichs auftauchte. Lhotsky hatte es zuvor als Erfindung eines Notars im Dienste Friedrichs zugeschrieben – ein Ansatz, der angesichts der Quelle im Zinnaer Psalter nun unrealistisch erscheint. Zudem hebt Langmaier eine Londoner Handschrift mit astronomischen Inhalten hervor, die vor 1440 entstand. Die darin vermerkte En-Amor-Variante schreibt er der Handschrift Friedrichs zu.

Für Langmaier lässt sich somit belegen, "dass nicht nur kaiserliche Kreise diese Auslegung des A.E.I.O.U. über fünf Jahrzehnte hinweg als authentisch betrachteten, sondern dass sie auch von Außenstehenden über einen solch langen Zeitraum hinweg akzeptiert wurde", wie er in seiner Arbeit schreibt. Er räumt aber ein, dass es nicht auszuschließen sei, dass das Distichon erst nachträglich zur Herrschaftsdevise gemacht worden sei.

Schon damals mehrdeutig?

Für Schwarz ist dagegen die permanente Wandelbarkeit schon im Zeitalter Friedrichs III. das Entscheidende. "Mit dem Zinnaer Psalter haben wir nun zweifellos eine weitere interessante Quelle zur Verfügung. Fakt ist aber, dass sie viel jünger ist als das Notizbuch, in dem mehrere Varianten verzeichnet sind. Gleichzeitig ist von vielfältigen Bedeutungswandel des Vokalspiels in der damaligen Zeit auszugehen", sagt er.

Auch die Bedeutung der Londoner Handschrift hinsichtlich der A.E.I.O.U.-Deutung relativiert Schwarz: "Langmaier setzt voraus, dass der Eintrag mit der En-Amor-Auflösung in der Londoner Handschrift Friedrich III. zuzuordnen ist. Es fehlt aber eine paläografische Analyse, die das belegt." Die Betrachtung aller vorhandenen Quellen zeigt für Schwarz weiterhin, dass es "nie eine 'offizielle', vom Kaiser als alleingültig ausgegebene Auflösung der Vokale gab und dass Friedrich selbst stets an mehreren Auflösungen Gefallen fand". (Alois Pumhösel, 20.4.2024)