Erbschaften, Österreich, junge Generation
Bis 2050 könnten sich die vererbten Vermögen in Österreich verdoppeln. Für junge Menschen macht das Erbe der Eltern und Großeltern einen immer größeren Teil des Lebenseinkommens aus.
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Aristoteles Riedmann weiß, dass ihm eines Tages viel bleiben wird: ein kleines Haus auf dem Land, eine zweite Wohnung in Wien, noch eine weitere Immobilie im Ausland, die er gemeinsam mit seiner Schwester von seinen Eltern erben wird. "Meine Mutter ist zwar seit kurzem in Pension, mein Stiefvater arbeitet aber immer noch. Die Besitztümer werden also nicht weniger", sagt Riedmann. Profitieren könne er von diesem Reichtum aber schon jetzt: "Ich wohne seit zehn Jahren mietfrei in einer Eigentumswohnung in Wien. Für meine Schwester und mich stand nie zur Debatte, neben der Uni noch arbeiten zu müssen."

Der 31-Jährige gehört zu jener Gruppe der sogenannten Millennials – grob fallen darunter alle, die zwischen 1981 und 1995 geboren sind –, die in den kommenden Jahren und Jahrzehnten beträchtliche Vermögen von ihren Eltern und Großeltern erben werden. Allein in den USA könnten sich Erbschaften in Form von Immobilien und anderen Vermögenswerten in den kommenden 20 Jahren auf mehr als 80 Billionen Euro belaufen, heißt es in einer aktuellen Studie des Immobilienmaklers Knight Frank. In Europa sei eine ähnliche Entwicklung zu erwarten. Millennials würden dadurch so viel erben wie noch keine Generation vor ihnen und könnten "zur reichsten Generation der Geschichte" werden, heißt es in dem Bericht.

Fehlender Ehrgeiz?

Einige sehen darin einen beunruhigenden Trend. "Wer arbeitet noch, wenn Geld und Wohnung da sind?", titelte der Kurier vor kurzem. Wer schon vor dem ersten Job große Vermögen erbe, habe wenig Ehrgeiz, sich in einem Vollzeitjob noch etwas zu erarbeiten. Die postulierte Folge: mangelnde Kritikfähigkeit, Hilflosigkeit und finanzielle Abhängigkeit von den Eltern. Die "Erbengeneration" verliere durch den vorherrschenden Wohlstand die Fähigkeit, etwas auszuhalten und in schwierigen Situationen durchzubeißen, so die Zukunftsforscher und Gehaltsexperten, die in dem Bericht zu Wort kommen.

Ökonominnen und Ökonomen haben an diesen Thesen so ihre Zweifel. "Wie viel Geld Menschen erben, beeinflusst die Entscheidung, wie viel sie arbeiten, nur marginal", sagt Franziska Disslbacher, Ökonomin an der Wirtschaftsuniversität Wien. Arbeit habe für viele Menschen über die finanzielle Situation hinaus einen hohen Stellenwert. Dennoch beschäftigt auch die Ökonomin die wachsende Bedeutung von Erbschaften in Österreich und deren künftige Auswirkungen auf die Gesellschaft und auf jeden Einzelnen.

Verdoppelung bis 2050

"Erbschaften steigen für die nächsten Generationen massiv an", sagt Disslbacher. Während aktuell in Österreich rund 20 Milliarden Euro pro Jahr vererbt werden, könnte es bis 2050 bereits doppelt so viel sein. Fast jeder fünfte junge Mensch verlasse sich darauf, später zu erben, heißt es in einer kürzlich erschienenen Uniqa-Umfrage. Diesen Trend zeigen auch internationale Studien: Während der Anteil des Erbes am privaten Vermögen in Europa bis 1910 bei 70 bis 80 Prozent lag, fiel er Mitte des Jahrhunderts auf 30 bis 40 Prozent, wuchs dann bis 2010 auf 50 bis 60 Prozent und sei seither im Steigen begriffen.

Der Grund: "Die Babyboomer-Generation ist die erste Generation, die sich ohne Kriege und mit stabilen Beschäftigungsverhältnissen ein Vermögen aufbauen konnte", sagt Disslbacher. Bei vielen seien diese Vermögen nun vor allem in Form von Immobilien gebunden. "Wenn die Babyboomer-Generation stirbt, bedeutet das, dass eine relativ zahlreiche Generation stirbt, die zum Teil beträchtliche Erbschaften in Form von Immobilien in den kommenden Jahren an die nächste Generation weitergeben wird."

Ungleiche Verteilung

Zu diesem Ergebnis kommt auch eine Studie des britischen Institute for Fiscal Studies aus dem Jahr 2021. Für die Millennials spiele das Erbe im Durchschnitt eine doppelt so große Rolle wie noch für die Babyboomer, heißt es darin. Für die sogenannte Generation Z, die den Millennials nachfolgt, wachse die Bedeutung von Erbschaften sogar noch weiter. Bei vielen Menschen mache das Erbe einen immer größeren Teil des Lebenseinkommens aus.

Das bedeutet jedoch nicht, dass alle gleichermaßen profitieren. Die obersten zehn Prozent der Menschen, die in Österreich erben, bekommen im Durchschnitt 400.000 Euro, die unteren 50 Prozent im Schnitt 30.000 Euro, sagt Disslbacher. 40 Prozent des gesamten Erbvolumens konzentriere sich im obersten einen Prozent, 90 Prozent in den oberen zehn Prozent. "Es gibt viele, die wenig erben, und einige wenige, die sehr viel erben."

Viele erben nichts

Und es gibt auch viele, die gar nichts geerbt haben. Das treffe laut Befragungen derzeit auf ungefähr 60 Prozent zu, sagt Matthias Schnetzer, Verteilungsforscher an der österreichischen Arbeiterkammer (AK). Während rund 20 Prozent des ärmsten Dezils der Haushalte in Österreich geerbt haben, sind es bei den reichsten Haushalten 76 Prozent, zitiert Schnetzer eine Studie der Oesterreichischen Nationalbank aus dem Jahr 2021.

"Ich habe leider wenig Aussichten, etwas zu erben", sagt Felix Krammer aus Wien (dessen Name von der Redaktion geändert wurde, Anm.). Seine Mutter habe nicht viel Geld, und sein Vater sei "mit dem restlichen Geld abgehaut". Lange schien dem heute 36-Jährigen deshalb die Möglichkeit, Eigentum zu erwerben, wenig realistisch. "Ich habe einige Zeit im Verkauf gearbeitet, wo die Gehälter lächerlich sind und mich der Beruf irgendwann krank gemacht hat." Er sei in einen längeren Krankenstand und in die Arbeitslosigkeit gerutscht. "Irgendwann ist es zur Normalität geworden, dass ich mir kaum etwas leisten kann. Das ist ziemlich frustrierend."

Spitze des Eisbergs

Erbschaften seien nur die Spitze des Eisbergs am Ende einer langen Reihe von Privilegien, in deren Genuss erbende Millennials und nachfolgende Generationen kommen, sagt Disslbacher. "Schon davor beeinflusst die Chance auf ein Erbe und ein Vermögen den Zugang zum Bildungssystem, zu Praktika und zum Arbeitsmarkt." Jene, die erben werden, haben tendenziell schon vorher mehr Einkommen und können mehr ansparen, während die Sparquote, also der Anteil der Ersparnis am Einkommen, bei Menschen im unteren Drittel der Einkommensverteilung nur bei zehn Prozent liege.

"Ich habe einige Freunde, die relativ gut verdienen, die aber sehr viel für die Miete abgeben müssen", sagt Riedmann. Da er schon jetzt durch die Eigentumswohnung keine Miete zahlen müsse, könne er sich jeden Monat einiges ansparen. Auch, dass er sich vor einigen Jahren selbstständig gemacht hat, sei nur mit diesem Sicherheitsnetz möglich gewesen. "Das ist schon ein großer Startvorteil, den andere sicher nur schwer aufholen können."

Starke Trennlinie

Die Trennlinie zwischen jenen jungen Menschen, die Wohneigentum erben werden, und jenen, die das nicht tun, könnte in Zukunft noch deutlicher werden, sagt Schnetzer. Durch die steigenden Immobilienpreise und Kreditzinsen bei vergleichsweise moderater Einkommensentwicklung sowie eine wachsende Platzproblematik in Ballungsräumen werde es für junge Menschen, die nicht auf große Vermögen ihrer Eltern zurückgreifen können, immer schwieriger, Eigentum zu erwerben.

Um dieser Ungleichheit entgegenzuwirken, sprechen sich sowohl Schnetzer als auch Disslbacher für eine Erbschaftssteuer aus, die in Österreich seit ein paar Monaten wieder stärker diskutiert wird. "Eine solche Steuer allein löst aber noch nicht alle Probleme, die mit dem Erben und Nichterben einhergehen", sagt Disslbacher. Ausgleichende Funktion habe diese nur, wenn die Einnahmen aus der Steuer gezielt in den Bildungsbereich investiert werden. "Dadurch, dass Erbschaften immer weiter wachsen, hätten wir für diesen Bereich auch immer mehr Steuern zur Verfügung."

"Für mich haben sich die Dinge vor kurzem zum Besseren gewandt", sagt Krammer. Er habe eine Umschulung zum IT-Systemtechniker gemacht und einen neuen Job gefunden, in dem er deutlich mehr verdiene als im Verkauf. "Ich versuche, wenig Geld auszugeben und möglichst viel zu sparen, damit sich irgendwann vielleicht doch eine kleine Eigentumswohnung ausgeht", sagt er. Zuerst müsse er aber noch die alte Waschmaschine und einige Möbel in seiner Mietwohnung austauschen und ein paar Schulden zurückzahlen. "Bis ich das aufgeholt habe, wo ich in den vergangenen Jahren zurückgefallen bin, ist es noch ein langer Weg." (Jakob Pallinger, 24.4.2024)