Der Arbeitsmarkt in Wien hat gewiss schon schwierigere Zeiten erlebt, aber die aktuelle Wirtschaftsflaute hat in der Hauptstadt Narben hinterlassen. Bei etwas mehr als 900.000 unselbstständig Beschäftigten sind inzwischen 117.000 Menschen als arbeitslos gemeldet – ein klarer Anstieg im Vergleich zum vergangenen Jahr. Dazu kommen noch 37.500 Menschen, die aktuell eine Schulung absolvieren. Die Arbeitslosenquote inklusive Schulungen von 14,4 Prozent bedeutet, dass etwa auf sieben Beschäftigte ein Jobsuchender kommt.

Angesichts dieser Zahlen würde man meinen, dass es kein besonders großes Problem sein kann, offene Stellen in der Stadt zu besetzen. Wer Arbeitslosengeld bezieht, muss dem Jobmarkt zur Verfügung stehen, und Unternehmen sollten mit guten Angeboten in der Lage sein, ausreichend Interessierte zu finden.

Aber offenbar hakt es doch – zumindest legt das eine überraschend vorgelegte Verordnung aus dem Haus von Arbeits- und Wirtschaftsminister Martin Kocher (ÖVP) nahe. Mit der Verordnung soll laut STANDARD-Informationen die Zahl der neuen Saisonarbeitskräfte in der Landwirtschaft für die Hauptstadt deutlich ausgeweitet, nämlich mehr als verdoppelt. 200 zusätzliche Saisonniers können demnach heuer in Wien für die Ernte eingesetzt werden. Die meisten Menschen dürften aus Drittstaaten wie dem Kosovo, Nordmazedonien oder Serbien kommen. Die Landwirtschaftsbetriebe müssen beim AMS um eine Beschäftigungsbewilligung für sie ansuchen, die aber auf Grundlage der Verordnung prinzipiell zu erteilen ist. Dann können die Saisonkräfte kommen.

Erntehelfer während der Arbeit.
APA/TOBIAS STEINMAURER

Der Einsatz von Erntehelfern ist an sich nicht ungewöhnlich in Österreich, in den übrigen Bundesländern arbeiten mehrere Tausend von ihnen Saison für Saison, immer wieder wird über das System diskutiert. In Wien ist der Fall etwas anders gelagert: Hier ist die Arbeitslosenquote deutlich höher als in den anderen Bundesländern, etwa eineinhalbmal so hoch wie in Oberösterreich und um 50 Prozent höher als in Niederösterreich. Dazu kommt, dass die landwirtschaftliche Produktion nur ein Nischenmarkt ist. So war bisher geplant, dass im Rahmen der zu Jahresanfang festgelegten Kontingente 76 neue Saisonkräfte für die Landwirtschaft nach Wien kommen können; nochmal 67 sollten eine Erlaubnis im Tourismus erhalten. Dazu kommen ein paar Stammsaisonkräfte. Unter Arbeitsmarktexperten kann sich niemand an eine so markante Erhöhung des Kontingents in der Vergangenheit in Wien erinnern.

Wunsch aus der Landwirtschaft

Der Vorgang mit den Erntehelfern geht auf einen Wunsch der Landwirtschaft zurück. Man finde nicht ausreichend Leute, sagt Norbert Walter, Präsident der Wiener Landwirtschaftskammer. Vor allem für die Ernte der Gurken und Paradeiser in den Wiener Gewächshäusern und für die Weinernte würden zusätzlich Leute gebraucht. Man habe schon in der Vergangenheit probiert, Arbeitslose zu mobilisieren, etwa über Schulungen via AMS. Es hätten sich kaum Interessierte gefunden. Auf Nachfrage, wie lang das schon her sein, meint Walter: in der Zeit vor der Pandemie. Wäre es nicht einen nochmaligen Versuch wert? Prinzipiell sei man in der Landwirtschaft natürlich bereit, auch Arbeitslose einzustellen, so die Antwort, das Potenzial bleibe aber beschränkt.

Ob die Branche zu wenig zahle und deshalb zu Dumpingkosten lieber auf extra hereingeholte ausländische Arbeitskräfte zurückgreift? Walter verneint. Im Weinbau liege das Mindestgehalt laut Kollektivvertrag bei 1700 Euro netto, "mich wundert auch, dass keiner einsteigt", so der Landwirt. Seine These: "Womöglich zahlen wir auch zu viel Unterstützung für Arbeitslose, sodass jemand mit dem Geld und wenn er noch geringfügig dazuverdient, besser über die Runden kommt als mit einem Job."

Kritik kommt von der zuständigen Produktionsgewerkschaft Pro-Ge: "Grundsätzlich bin ich dafür, dass man die Menschen, die da sind, auch in Beschäftigung bringt. Diese Arbeit erfordert auch keine lange Anlernzeit, es wären prädestinierte Jobs für Flüchtlinge, die schon da sind", sagt Toni Steinmetz, Wiener Vertreter der Pro-Ge. In der Landwirtschaft wolle man allerdings lieber Leute aus dem Ausland holen, die bereits Erfahrung in dem Bereich hätten. Dazu komme der relativ niedrige Lohn in dem Sektor, der, kombiniert mit den harten Arbeitsbedingungen, abschreckend wirke. "Im Glashaus in Simmering hat es im Sommer 50 Grad, die stundenlange Arbeit ist in gebückter Form zu verrichten", so Steinmetz.

Für Gartenarbeiter in Wien beträgt der Lohn brutto 10,47 Euro die Stunde oder um die 1800 Euro im Monat. Steinmetz: Eine "faire" Entlohnung wäre für die Unternehmer zumutbar, auch wenn das dazu führen sollte, dass Radieschen ein Euro mehr kosten.

Und wie sieht man die Sache im Wirtschaftsministerium: Der Schritt werde gesetzt, weil das Wiener Landwirtschaftskontingent im vergangenen Jahr von März bis Oktober sehr stark ausgelastet gewesen sei. Aber wäre es angesichts der hohen Arbeitslosenzahlen nicht sinnvoller, auf inländische Kräfte zu setzen? Eine Verdrängung von lokalen Arbeitssuchenden finde nicht statt, so die Replik des Ministeriums, da vor jeder Kontingentzuweisung ein Ersatzkraftverfahren beim AMS durchgeführt werden müsse.

Bei diesem Verfahren muss das AMS schauen, ob nicht doch eine dort vorgemerkte Person für den Job vermittelt werden kann. Geht es nach den Landwirten selbst, steht die Antwort darauf schon fest. (András Szigetvari, 24.4.2024)