Edtstadler
Verfassungsministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) beklagt den Anstieg antisemitischer Vorfälle seit dem Terrorangriff der Hamas und dem folgenden Gazakrieg.
APA/GEORG HOCHMUTH

Am Sonntag finden in Mauthausen wieder die Feierlichkeiten anlässlich der Befreiung des dortigen Konzentrationslagers am 5. Mai 1945 statt. Rund um diesen Tag werden auch die verheerenden Folgen des Antisemitismus und die Lehren für die Gegenwart verstärkt thematisiert. In diesem Jahr drängt sich das Thema aber ohnehin von selbst auf, denn seit Beginn des Gazakrieges im Nahen Osten ist weltweit ein starker Anstieg antisemitischer Vorfälle zu verzeichnen – auch in Österreich.

Erst diese Woche wurden im Wiener Bezirk Leopoldstadt, in dem traditionell eine große und sichtbare jüdische Community lebt, die Wände von Geschäften jüdischer Eigentümer mit Parolen beschmiert, die eine antisemitische Stoßrichtung nahelegen – etwa "Death to Zionism". "Das widert mich an", sagte Verfassungsministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) bei einem Pressegespräch am Freitag. Der Angriff der Hamas vom 7. Oktober habe die "Büchse der Pandora geöffnet": Antisemitismus, der teils verdeckt unter der Oberfläche geschlummert habe, schieße auch hierzulande nun "wie Schwammerln aus dem Boden".

Rekordjahr 2023

Zahlen aus dem Jahr 2024 gibt es noch nicht, doch jene von Ende 2023 haben es in sich. Damals registrierte die Meldestelle der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG) im Schnitt täglich rund acht Vorfälle, wohingegen es im Jahresschnitt 2022 "nur" rund zwei pro Tag waren. Aufgrund dieser Explosion ab Herbst war 2023 dann auch insgesamt das Jahr mit den meisten jemals gemeldeten Vorfällen (1147) seit Beginn der Zählungen 2008. Zu den Vorfällen zählten etwa Beschimpfungen, Bedrohungen, Schmierereien oder auch der Brandanschlag auf den jüdischen Teil des Wiener Zentralfriedhofs.

Bei der Interpretation gilt es zu beachten, dass nicht jede Meldung strafrechtlich relevant sein oder gar in eine Verurteilung münden muss. Edtstadler bedauerte in diesem Zusammenhang, dass es derzeit noch einen Mangel an Judikatur zu verbreiteten Demo-Slogans (á la "From the river to the sea, Palestine will be free") gebe, was eine Verfolgung der Personen erschwere. Gerichtsentscheidungen sollten hier bald für mehr Klarheit sorgen.

Edtstadlers Pendel

Die Ministerin warnte insbesondere vor dem linken Antisemitismus, für den Österreich zu lange blind gewesen sei. Mittlerweile stehe dieser jedoch hierzulande im Fokus, sagte sie: "Das Pendel ist von rechts nach links ausgeschlagen."

Durch die verfügbaren Meldungszahlen der IKG ist diese Behauptung allerdings nicht gedeckt. Denn dort zeigt sich, dass 2023 rund doppelt so viele Vorfälle einem rechten ideologischen Hintergrund zugeordnet wurden (387) als einem linken (209) – der muslimische Antisemitismus lag mit 286 Meldungen dazwischen. In absoluten Zahlen stieg laut IKG zwar auch der linke Antisemitismus im Jahr 2023 deutlich, der prozentuelle Anteil blieb aber gegenüber 2022 gleich, was Edtstadlers Pendel-Aussage ebenfalls widerspricht.

Darauf vom STANDARD angesprochen, argumentierte das Büro der Ministerin, dass sich auf den propalästinensischen Demos linker und muslimischer Antisemitismus vermische. Insofern müsse man in der starken Steigerung bei muslimischem Antisemitismus, dessen prozentueller Anteil an den Meldungen sich auf 25 Prozent tatsächlich fast verdreifacht hat, gewissermaßen auch eine linke Komponente sehen. Edtstadler ihrerseits verwies in ihrer Warnung vor linkem Antisemitismus vor allem auf die turbulenten Kundgebungen an US-Unis.

Gäste von ebendort wird die Ministerin am Montag selbst begrüßen. Für eine Antisemitismuskonferenz in der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW), die Edtstadler eröffnen wird, hat sich etwa die prominente US-amerikanische Historikerin Deborah Lipstadt angekündigt. Auch andere prominente Experten und Vertreter jüdischer Institutionen werden auftreten, der israelische Staatspräsident Isaac Herzog überbringt eine Videobotschaft. (Theo Anders, 3.5.2024)

Video: Edtstadler warnt vor Anstieg von "linkem Antisemitismus"
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