SPD-Politiker Matthias Ecke
Der deutsche SPD-Politiker Matthias Ecke wurde bei einem Angriff schwer verletzt.
IMAGO/dts Nachrichtenagentur

Berlin – Der deutsche Europaabgeordnete Matthias Ecke (SPD) ist beim Plakatieren im Dresdner Stadtteil Striesen angegriffen und schwer verletzt worden. Beim Befestigen von Wahlplakaten für die SPD am späten Freitagabend schlugen vier Unbekannte auf einen 41-Jährigen ein, wie die Polizei am Samstag mitteilte. Er habe im Krankenhaus medizinisch versorgt werden müssen. Nach Angaben der SPD Sachsen handelt es sich dabei um ihren Spitzenkandidaten bei der Europawahl, Matthias Ecke. Der Politiker muss demnach operiert werden. Es habe bei anderen Plakatierteams weitere Einschüchterungsversuche, Plakatzerstörungen und Beleidigungen gegeben.

Bei den Angreifern auf Ecke handelt es sich nach Polizeiangaben um junge Männer zwischen 17 und 20 Jahren. Alle vier seien Zeugenaussagen zufolge dunkel gekleidet gewesen, sagte ein Polizeisprecher am Samstag. Ein Zeuge habe die Angreifer dem rechten Spektrum zugeordnet. Die Ermittlungen würden zeigen, ob das stimme.

Die SPD-Bundesvorsitzenden Saskia Esken und Lars Klingbeil verurteilten den Angriff auf den sächsischen Europaabgeordneten scharf. "Dieser hinterlistige Angriff macht unsere gesamte Partei betroffen. Er ist ein Angriff auf alle Wahlkämpferinnen und Wahlkämpfer, die mit Leidenschaft für unsere Demokratie und den Rechtsstaat eintreten", hieß es in einer Erklärung vom Samstag. "Die Täter wollen uns als Repräsentanten einer demokratischen Gesellschaft einschüchtern. Aber das wird ihnen niemals gelingen." Man erwarte, dass die Tat aufgeklärt und die Täter zur Rechenschaft gezogen würden.

"Unübersehbares Alarmzeichen"

Der Überfall sei ein "unübersehbares Alarmzeichen an alle Menschen in diesem Land", erklärten die Landesparteivorsitzenden Henning Homann und Kathrin Michel laut Mitteilung. "Die Reihe von Angriffen durch Schlägertrupps auf Plakatierteams demokratischer Parteien sind ein Angriff auf die Grundfesten unserer Demokratie. Das gewalttätige Vorgehen und die Einschüchterung von Demokratinnen und Demokraten ist das Mittel von Faschisten." Die Saat, die AfD und andere Rechtsextreme gesät hätten, gehe auf, deren Anhänger seien völlig enthemmt. Die SPD lasse sich aber nicht mundtot machen, betonten Homann und Michel.

"Angriffe und Einschüchterungen von politischen Mitbewerbern kennen wir aus den dunkelsten Epochen unserer Geschichte", schrieb Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) auf X. Er sei schockiert. Auch die deutsche Innenministerin Nancy Faeser verurteilte den Überfall auf den Europaabgeordneten Ecke scharf. "Wir erleben hier eine neue Dimension von antidemokratischer Gewalt", sagte die Sozialdemokratin und kündigte an, rasch mit den Länder-Innenministerinnen und -Innenministern über die zunehmende Gewalt gegen Wahlkämpfer zu beraten. Faeser gab Extremisten und Populisten eine Mitverantwortung, weil sie "mit völlig entgrenzten verbalen Anfeindungen gegen demokratische Politikerinnen und Politiker ein zunehmendes Klima der Gewalt schüren". Es gebe deshalb immer häufigere Attacken auf Politiker und Wahlkampfhelfer.

Minuten zuvor hatte laut Polizei bereits eine vierköpfige Gruppe einen 28-jähriger Wahlkampfhelfer der Grünen ebenfalls beim Plakatieren attackiert. Die Täter schlugen und traten ihn, auch der 28-Jährige wurde verletzt. Die Ermittler des Staatsschutzes gehen aufgrund der übereinstimmenden Personenbeschreibungen sowie der zeitlichen und örtlichen Nähe davon aus, dass es sich in beiden Fällen um dieselben Täter handelt. Mittlerweile die Task Force Gewaltdelikte des Landeskriminalamtes die Ermittlungen übernommen.

"Diese Angriffe sind leider nicht neu", erklärte Sachsens Innenminister Armin Schuster (CDU). "Absolut beunruhigend ist aber die Intensität, mit der sich die Attacken aktuell häufen." Der Staatsschutz der sächsischen Polizei habe die Ermittlungen übernommen. Seit Jahresbeginn seien in Sachsen bisher 112 politisch motivierte Straftaten im Zusammenhang mit Wahlen registriert worden, teilte das Innenministerium weiter mit – davon 30 gegen Amts- oder Mandatsträger. Bereits in der ersten Woche des Europawahlkampfs seien 51 politisch motivierte Straftaten gegen Wahlplakate erfasst worden. Vergangenes Wochenende wurden ähnliche Angriffe in Sachsen und Brandenburg gemeldet.

Erst am Donnerstagabend waren der Grünen-Bundestagsabgeordnete Kai Gehring und sein Parteikollege Rolf Fliß nach eigenen Angaben nach einer Parteiveranstaltung in Essen attackiert worden. Am vergangenen Wochenende waren Mitglieder der Grünen in Chemnitz und Zwickau beim Anbringen von Wahlplakaten angegriffen worden. Im niedersächsischen Nordhorn wurde am Samstagmorgen ein Landtagsabgeordneter der AfD nach Polizeiangaben an einem Infostand geschlagen.

Vor allem Grüne betroffen

Die Zahl der Übergriffe gerade auch auf Kommunalpolitiker nimmt seit Jahren zu. Laut einer Antwort der Bundesregierung waren 2023 von Angriffen vor allem Politiker und Politikerinnen der Grünen betroffen, danach folgen die AfD und die SPD. Vor wenigen Tagen wurde bekannt, dass der Wagen von Bundestags-Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt (Grüne) in Brandenburg mehr als eine halbe Stunde von aggressiven Demonstranten blockiert wurde.

Nach einer Studie für die Heinrich-Böll-Stiftung treffen die Beleidigungen, Bedrohungen und tätlichen Angriffe Frauen wie Männer und Menschen mit und ohne Migrationshintergrund in ähnlichem Maße, und zwar sowohl in ost- als auch in westdeutschen Ländern sowie über alle Parteigrenzen hinweg. Auffällig ist aber ein Trend, den die Bundesregierung jüngst auf eine Kleine Anfrage der AfD im Bundestag offenlegte - nicht speziell zu Kommunalpolitikern, sondern gemünzt auf alle politischen Ebenen: Waren noch 2019 vor allem Vertreter der AfD Ziel von Anfeindungen, so verlagerte sich der Hass vermehrt auf die Grünen. Für die AfD wurden 2023 nach vorläufigen Zahlen bundesweit 478 Fälle aktenkundig, für die Grünen 1.219. Für alle Parteien zusammen wurden von 2019 bis 2023 nach Regierungsangaben 10 537 Straftaten gemeldet.

Reaktionen

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) forderte ein geschlossenes Vorgehen gegen Rechts. Der Angriff auf Ecke sei bedrückend, sagte Scholz am Samstag bei einem Demokratiekongress zur bevorstehenden Europawahl in Berlin. "Die Demokratie wird von so etwas bedroht, und deshalb ist achselzuckendes Hinnehmen niemals eine Option", sagte Scholz. "Wir müssen gemeinsam dagegen stehen."

Grünen-Chefin Ricarda Lang äußerte sich entsetzt und schrieb auf X, dass man sich nicht einschüchtern lassen dürfe. Nach Angaben des Grünen-Kreisverbandes Dresden wurde auch ein Grünen-Anhänger bei der Plakatierung von einem vermummten Schlägertrupp angegriffen und verletzt. Der Angegriffene sei noch in den Bauch getreten worden, als er bereits am Boden lag, hieß es.

EU-Parlamentspräsidentin Roberta Metsola sicherte Ecke nach dem Angriff auf ihn Unterstützung und Solidarität zu. Sie sei "entsetzt über den bösartigen Angriff", schrieb Metsola auf der Plattform X (früher Twitter). Die Verantwortlichen müssten vor Gericht gestellt werden. "Matthias, das Europaparlament steht an deiner Seite", fügte sie hinzu.

Deutschlands Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ist "entsetzt über die gewaltsamen Angriffe" auf Politiker von SPD und Grünen. "Es ist unerträglich, wenn Vertreter von Verfassungsorganen wie die Vizebundestagspräsidentin Katrin Göring-Eckardt, Europawahlkämpfer wie der Dresdner Matthias Ecke und Amtsträger wie der dritte Essener Bürgermeister Rolf Fliß bei ihrer demokratischen Arbeit angegriffen, behindert oder sogar geschlagen und verletzt werden", so Steinmeier.

"Dieser Ausbruch von Gewalt ist eine Warnung", erklärte Steinmeier in der am Samstag in Berlin verbreiteten Erklärung. "Alle, die unsere liberale Demokratie erhalten möchten, müssen nun parteiübergreifend zusammenstehen gegen Angriffe und Übergriffe im politischen Wettbewerb." Der deutsche Bundespräsident appellierte an alle, die politische Auseinandersetzung friedlich zu führen, mit Argumenten und Respekt. "Lassen wir nicht zu, dass Radikale durch Brutalität das zerstören, was Demokratien im Wahlkampf ausmacht: die friedliche, angstfreie politische Willensbildung."

Auch der AfD-Vorsitzende Tino Chrupalla schieb auf X: "Physische Angriffe gegen Politiker aller Parteien verurteilen wir zutiefst. Wahlkämpfe müssen inhaltlich hart und konstruktiv, aber ohne Gewalt geführt werden." Der selbst aus Sachsen stammende Bundespartei- und Bundestagsfraktionschef wünschte Ecke "viel Kraft und rasche Genesung".(APA, Reuters, red, 4.5.2024)