Seit ihrer Kindheit färbt Ibu Lilik kunstvoll Stoffe. In der Familie der Indonesierin wurde das jahrhundertealte Batikhandwerk, also das Gestalten von textilen Mustern durch gezieltes Abdecken mit flüssigem Wachs, von Generation zu Generation weitergegeben. Das traditionelle Kunsthandwerk hinter den farbenprächtigen Gewändern, das mittlerweile auch zum Unesco-Weltkulturerbe gehört, ist eine Arbeit der Frauen. Töchter lernen es von ihren Müttern. Doch immer weniger können davon leben. Als Ibu Lilik ein Mädchen war, waren noch nahezu alle Frauen in ihren Dorf Batikkünstlerinnen. Heute sind es nur noch drei: sie, ihre Mutter und eine Nachbarin.

Für Denica Riadini-Flesch wurde Ibu Liliks traditionsreiche Arbeit zur Inspiration. Früher war die indonesische Entwicklungsökonomin bei der Weltbank angestellt und forschte zur Armut in ihrem Land. Doch irgendwann wollte sie mehr tun. Inspiriert von den Batikkünstlerinnen, die trotz langer Arbeitsstunden kaum das Schulgeld ihrer Kinder aufbringen können, stellte sie sich die Frage: Wie schaffen wir ein Ökosystem, in dem diese Frauen mit ihrem Handwerk einen Lebensunterhalt verdienen können?

Drei Frauen schauen in die Kamera, im Hintergrund ein Reisfeld auf mehreren Terrassen
In Indonesien wird Baumwolle wieder auf traditionelle Weise kultiviert, darauf ist Sukkha-Citta-Gründerin Denica Riadini-Flesch (re.) stolz. Auf Java kooperiert sie etwa mit den Farmerinnen Ibu Tun und Ibu Dair.
© Rolex/Sébastien Agnetti

Großteil der Schneiderinnen unter Existenzminimum

Ihre Antwort darauf ist Sukkha Citta, ein soziales Unternehmen, das mit traditionell hergestellten Kleidungsstücken Produzenten und Konsumenten abseits der Abgründe der globalen Textilindustrie zusammenbringt. 2023 wurde das Projekt mit einem "Preis für Unternehmergeist" der Uhrenmarke Rolex ausgezeichnet.

"Global verdienen 98 Prozent der Frauen, die Kleidung schneidern, weniger als das Existenzminimum. Das war für mich ein Weckruf", sagt Riadini-Flesch. "Die einfache Entscheidung, was ich morgens anziehen soll, war plötzlich nicht mehr einfach. Denn durch die Kleidung ist man mit dem Leben dieser Frauen verbunden." Zumindest im Fall der Batikkünstlerinnen wollte sie eine Brücke bauen, die dieser Verbindung wieder Bedeutung verleiht. Bei Sukkha Citta sollen die Kaufenden wissen, von welchen Feldern die Baumwolle kommt und wie die Kleidung entsteht. Und sie sollen sicher sein, dass die Produzentinnen fair bezahlt werden und die Herstellung Umwelt und Klima nicht schadet – im Textilbereich eine große Ansage.

Menschen auf einem Baumwollfeld in Indonesien
Die neue Baumwollsaison auf den Feldern eines Dorfes in Java wird vorbereitet. Altes indigenes Wissen wird genutzt, um regenerative Landwirtschaft zu betreiben.
© Rolex/Sébastien Agnetti

Kreislauf durch Bildung durchbrechen

Zuerst baute Riadini-Flesch Schulungsprogramme auf, um die wirtschaftlichen Fähigkeiten der Frauen zu stärken, sodass sie den Wert ihrer Arbeit besser einschätzen können. "Diese Frauen haben keine Verhandlungsmacht. Sie müssen nehmen, was ihnen der Zwischenhändler gibt. Deshalb sind sie so leicht ausbeutbar", sagt die Ökonomin. "Die Idee war also, diesen Kreislauf zu durchbrechen, indem wir zuerst für Bildung sorgen."

Von da an arbeitete sich Riadini-Flesch weiter durch die Bekleidungslieferkette vor. "Wir lagern nicht nur die Armut an diese Dorfbewohnerinnen aus, sondern auch die Verwendung giftiger Farbstoffe", sagt sie. "Die Frauen hantieren mit den Chemikalien mit bloßen Händen in ihren Küchen – ohne zu wissen, dass sie für ihre Gesundheit schädlich sind." Noch dazu werden die Giftstoffe im Fluss entsorgt.

Farben aus der Natur

Die älteren der Batikkünstlerinnen konnten sich noch daran erinnern, wie einst ihre Vorfahren die traditionellen Kleidungsstücke färbten – mit Farbstoffen aus Pflanzen, die sie in der Umgebung fanden. "Ein großer Teil meiner Arbeit war, herauszufinden, wie wir diese Farben herstellen können", sagt Riadini-Flesch. Sie sollten nicht nur natürlich sein, sondern auch umweltfreundlich gewonnen werden. "Wir nutzen zum Beispiel Indigoblätter und Mahagoniholz für Blau und Schwarz . Wenn man nicht aufpasst, fangen die Leute an, eigens dafür Mahagonibäume zu fällen", so die Unternehmerin. Ähnlich ist es bei der Indigo. Hier bestand die Gefahr, dass Urwald gerodet wird, um die sonnenhungrige Pflanze zu kultivieren.

Auf Bali fand sich schließlich eine verwandte Pflanze mit blauer Färbeeigenschaft, die im Schatten gedeihen kann und nun in bestehenden Kaffee- oder Papayaplantagen angebaut wird. Gleichzeitig wurden auch für die Aufbereitung der Farbstoffe traditionelle Prozesse gefunden, die im Fall von Indigo ohne Schwefelwasserstoff auskommen und dafür wie einst die Vorfahren auf Zucker von Kokospflanzen als natürliches Reduktionsmittel zurückgreifen. "Ich habe gelernt, je älter das Rezept ist, desto besser ist es für die Umwelt", resümiert Riadini-Flesch.

Blaue Farbe in einem Kübel
SukkhaCitta verwendet ausschließlich natürliche Farbstoffe auf Pflanzenbasis, wie diesen blauen, der durch Fermentierung von Blättern der Pflanze Strobilanthes cusia hergestellt wird.
© Rolex/Sébastien Agnetti

Schließlich blieb noch die Frage, woher die Baumwolle für die nachhaltige Mode von Sukkha Citta kommen sollte. Auch in Indonesien wird ein Großteil aus China importiert, wo sie mit enormem Chemieeinsatz und Wasserverbrauch in Monokulturen angebaut wird. Riadini-Flesch besuchte also den trockeneren Osten Indonesiens, wo einst auch Baumwolle erzeugt wurde, heute aber Getreideanbau vorherrscht. Auch hier fand sie wieder eine Frau, Ibu Kasmini, die sich bereiterklärte, auf ihrem ein Hektar großen Feld einen Versuch im nachhaltigen Baumwollanbau zu starten.

"Ich glaube, ich tat ihr leid, weil ich Monate hier verbrachte, um Farmer zu bitten, Baumwolle anzubauen", erinnert sich Riadini-Flesch. "Ich gab ihr vollkommen freie Hand. Und das war der Punkt, wo der Zauber anfing." Auch die über 60-jährige Ibu Kasmini wusste noch, wie hier einst Baumwolle kultiviert wurde – in Kombination mit ausgewählten anderen Pflanzen.

Regenerativer Landbau

Neben der Baumwolle wuchsen Chili, Getreide, Kürbis, Mungobohnen, erzählt Riadini-Flesch. Sie waren dazu da, die Baumwolle zu schützen, Stickstoff zu binden und kein Unkraut aufkommen zu lassen. Dünger oder Pestizide waren überflüssig. Den Wasserbedarf der Baumwolle erledigte die Regenzeit. "Heute würde man regenerative Landwirtschaft zu dieser Methode sagen, die den Pflanzenreichtum eines Naturwaldes imitiert", sagt die Ökonomin zum indigenen Wissen Ibu Kasimis. Derzeit wird diese Art des Baumwollanbaus auf sieben Dörfer in der Region ausgedehnt.

Trotz der traditionellen Herstellungsweise sieht die Kleidung nicht nach Folklore aus. Es gibt einen einheimischen Markt für die Stücke, die in elegantem landestypischem Stil gehalten sind. Über die Website werden zudem Kunden in mittlerweile 30 Ländern versorgt. Riadini-Flesch möchte, dass wie bei Sukkhacitta die Leute überall auf der Welt wieder eine neue Verbindung zu Land und Boden knüpfen. "Das ist gleichzeitig ein Weg, wie wir traditionelle Kulturen erhalten können – nicht indem wir sie in ein Museum verbannen, sondern indem wir sicherstellen, dass sie mit uns heute leben können", sagt sie. (Alois Pumhösel, 3.5.2024)