Karlis Bardelis
Karlis Bardelis auf der Insel Tuvalu mitten im Pazifik. Im Hintergrund sein Boot, mit dem er weitgehend allein Strecken bewältigte, die andere Reiselustige höchstens im Zuge von Fernreisen mit Flugzeugen zurücklegen.
KARLIS BARDELIS / AFP / pictured

Will man es Karlis Bardelis gleichtun, sollte man sich etwas länger Zeit nehmen. Der lettische Abenteurer hat lediglich mit seiner Muskelkraft die Welt umrundet. Rund 46.000 Kilometer bewältigte er in seinem Ruderboot Linda, knappe 12.000 Kilometer mit dem Fahrrad. Insgesamt benötigte er – von diversen Komplikationen gebremst – beinahe acht Jahre, um seine Reise zu vollenden.

Bardelis ist als erster Mensch überhaupt allein über den Pazifik von Südamerika nach Asien und den Indischen Ozean von Asien nach Afrika gerudert. In der Regel ohne Begleitboot. Auch die Überquerung des Atlantiks (mit einem Partner) war eine Premiere. Insgesamt brachte ihm die Reise sechs Einträge ins Guinnessbuch ein.

Der frühere Projektmanager im Abfallmanagement hatte mit 28 erkannt, dass es für ihn nicht ausreicht, nur ein paar Mal im Jahr in die Berge zu fahren, also gab er seinen Job auf und begann "ein Leben voller Abenteuer und Freiheit", wie er auf seiner Website Bored of Borders schreibt.

Der mittlerweile 39-Jährige startete 2016 im Hafen von Lüderitz in Namibia, ruderte mit einem Partner von dort rund 8000 Kilometer über den Atlantik nach Rio de Janeiro. Dabei hätten ihm Ärzte schon nach einem Drittel geraten, "sich selbst zu evakuieren". Mit seiner damaligen Freundin fuhr er dann auf einem Tandem in 102 Tagen 5400 Kilometer bis nach Lima in Peru. Danach überquerte er den Pazifik. Er ruderte zwölf bis 13 Stunden täglich, stoppte unterwegs auf Inseln, auch um vor Stürmen Schutz zu suchen. Nach 715 Tagen und rund 30.000 Kilometern kam er Ende Juni 2020 in Malaysia an, danach musste er wegen der Pandemie eine Pause einlegen.

Eineinhalb Jahre später setzte er sein Abenteuer fort. Nach der Reparatur einiger Schäden am Boot fuhr er mit dem Rad 850 Kilometer nordwärts, um Wind und Wellen in der Straße von Malakka auszuweichen. Im Jänner 2022 stach er wieder in See. Bis zu den Malediven ruderte er gemeinsam mit dem franko-amerikanischen Abenteurer und Weltumrunder Dimitri Kieffer neun Tage, ehe er solo Kurs auf Tansania nahm.

Etliche Komplikationen

Er sollte dann auch noch die rund 8000 Kilometer von Asien nach Afrika schaffen. Allerdings machten ihm unterwegs Wind, Wellen und Strömungen derart zu schaffen, dass er selbst durch ausgedehnte Ruderzeiten von bis zu 20 Stunden am Tag weit von der geplanten Route abkam. Zudem wurde er durch den äquatorialen Gegenstrom 22 Tagstrecken zurückgetrieben.

Bardelis musste immer wieder improvisieren, etwa als ihm hunderte Kilometer von der nächsten Küste entfernt das Ruder brach. Einen Salto überstanden er und sein Boot weitgehend unbeschadet, er verlor dabei aber einen Teil seiner Ausrüstung. Einmal wurde er von Fliegenden Fischen am Kopf verletzt. Für die Strapazen wurde er aber auch mit "unglaublichen Sonnenaufgängen und Vollmonden" belohnt.

Am 20. Juni 2022 kam er schließlich in Afrika an, allerdings nicht wie geplant in Tansania oder in Kenia, sondern ausgerechnet in Somalia, das durch Piraterie und Anschläge der islamistischen Terrormiliz Al-Shabaab schwer geprüft ist.

Gestrandet in Somalia

Ein Fischer nahm ihn an Bord und übergab ihn der somalischen Armee, sein Boot, sein "Zuhause für so lange Zeit", schleppte ein anderer Fischer ab. "Mein Boot ist in Somalia gestrandet, ich konnte es nicht mehr herausbekommen. Ich musste Lösegeld zahlen", berichtet er später in einer Videonachricht. Er sei aber glücklich gewesen, nicht von Al-Shabaab gefangen genommen worden zu sein. Nach einer logistischen Herausforderung mit mehreren Planänderungen bekam er sein Boot wieder und konnte – eineinhalb Jahre später – seine Reise fortsetzen. Von Kenia aus begab er sich erneut in somalische Gewässer, um dort weiterzumachen, wo er aufgehört hatte.

Mit einem Freund rudernd bewältigte er in knapp vier Tagen die 400 Kilometer nach Kenia. Danach folgte nur noch eine 5000-Kilometer-Tour mit dem Rad über Tansania, Sambia, Botswana nach Namibia, wo er sieben Jahre und elf Monate davor seine Reise begonnen hatte. "Es fühlt sich surreal an", sagte er danach, "die Person, die diese Reise vor beinahe acht Jahren begonnen hat, war eine komplett andere."

Während er durch den Indischen Ozean ruderte, starb sein Vater. Er bedaure, dass er nicht bei seiner Familie sein und sich nicht von seinem Vater verabschieden konnte. "Aber wenn ich zurückblicke, habe ich getan, was ich tun wollte." Vor 15 Jahren habe er seine "Sucht nach Freiheit" entdeckt. Warum er das mache? "Ich kann es einfach nicht nicht tun. Ich bin sehr glücklich!"

Bardelis finanzierte seine Reise mit Sponsoren und sammelte Spenden für den Bau eines Hospizzentrums in Lettland. Seine Erfahrungen, etwa wie man Motivation und Energie findet, um nicht aufzugeben, vermittelt er in Vorträgen.

Vor seiner Weltumrundung war er in 60 Tagen mit Inline-Skates 6200 Kilometer vom Nordkap nach Gibraltar geskatet. Im Winter 2014 war er in 17 Tagen 2800 Kilometer von Riga nach Sotschi zu den Olympischen Spielen geradelt.

Roberto Helou, ein Abenteurer und Filmemacher, der Bardelis auf der letzten Etappe fünf Tage mit dem Rad begleitete, schrieb auf Instagram: "Er ist einer der wenigen Menschen, die uns allen zeigen, wie weit Menschen gehen können und wollen, und er ist dabei unglaublich bescheiden. Ein wahrer, puristischer Entdecker." (Thomas Hirner, 24.4.2024)