Ein Sieg des früheren ÖVP-Politikers Johannes Anzengruber gegen den bisher amtierenden grünen Bürgermeister Georg Willi hat sich in Innsbruck am Sonntag bereits nach Schließen der Wahllokale um 16 Uhr abgezeichnet. Und zwar ein deutlicherer als erwartet. Das Ergebnis der Bürgermeisterstichwahl in der Tiroler Landeshauptstadt brachte dann die Gewissheit.

Video: Innsbruck-Wahl: Anzengruber gewann Stichwahl mit 59,59 Prozent.
APA

Der neue Innsbrucker Stadtchef heißt also Johannes Anzengruber. Er wurde Ende des Vorjahres von der ÖVP ausgeschlossen, er gründete die Liste Ja – Jetzt Innsbruck – kurz Ja. Der 44-Jährige setzte sich gegen Willi klar mit 59,6 Prozent der Stimmen durch. Der Grüne unterlag mit 40,4 Prozent und muss nach seiner ersten sechsjährigen Amtszeit bereits wieder seinen Sessel räumen.

Wahlsieger Johannes Anzengruber strahlt – neben dem unterlegenen Georg Willi.
Florian Scheible

Anzengruber gab sich vom Wahlsieg "überwältigt". Er wolle Innsbruck in eine gute Zukunft führen, sagte der künftige Stadtchef. Der Wahlkampf sei "phänomenal, aber beinhart" gewesen. Am Montag wolle er die Koalitionsgespräche starten und dabei mit der stärksten Fraktion im Gemeinderat, also den Grünen, starten.

Anzengruber hielt sich am Sonntagabend – wie zuvor auch im Wahlkampf – offen, mit welchen Parteien er eine Koalition bilden will. Für ihn sei vor allem entscheidend, wer außer seiner Liste sonst noch "mit Herzblut" dabei sei, sagte er dem STANDARD. Das werde sich in den Koalitionsgesprächen rasch zeigen, war er überzeugt.

Willi will bleiben

Willi gratulierte Anzengruber und zollte dessen Leistung "Respekt". Seine Partei brachte Willi sogleich für eine künftige Koalition in Stellung. "Ich hoffe, wir werden gut zusammenarbeiten", sagte er und strich hervor, dass die Grünen aus der Gemeinderatswahl vor zwei Wochen als stärkste Fraktion hervorgegangen waren, Anzengrubers Liste auf Platz zwei landete.

Wie es für ihn politisch weitergehen soll, liegt für Willi auf der Hand: "Ich möchte Vizebürgermeister werden", machte er klar. Er wolle der Stadtpolitik jedenfalls erhalten bleiben.

Dass er die Stichwahl nicht gewinnen konnte, führt Willi darauf zurück, dass es im Wahlkampf offenbar nicht gelungen sei, ausreichend zu kommunizieren, welche Projekte man noch "in der Schublade" gehabt hätte.

Einen Trend für die Bundespolitik und das Superwahljahr wollten weder er noch der nach Innsbruck gekommene grüne Bundesparteichef Werner Kogler vom Wahlergebnis ableiten. Innsbruck sei schon ein besonderes Pflaster, sagte Kogler. Hier würden sich Listen schließlich mit einer "beachtlichen Halbwertszeit" spalten.

"Caprese"-Koalition?

Einen Sieg des Herausforderers hatten bereits im Vorfeld in Innsbruck viele für möglich gehalten – nicht wenige auch erwartet. Nicht zuletzt, weil Willis sechsjährige Amtszeit vom Platzen der Stadtkoalition, Streitereien, politischen Blockaden und Intrigen geprägt war. Der bisherige Bürgermeister konnte letztlich viele seiner anvisierten Projekte nicht umsetzen. Der Frust der Innsbruckerinnen und Innsbrucker mit den politischen Zuständen in ihrer Stadt war dementsprechend groß.

Künftige Koalitionspartner? Johannes Anzengruber und Georg Willi am Wahlabend.
Florian Scheible

Was die künftige Koalition angeht, gilt trotz der betonten Zurückhaltung Anzengrubers vor den Gesprächen eine Variante als deutlich wahrscheinlicher als jede andere: die vom unterlegenen Willi ­favorisierte "Caprese-Koalition" aus Grünen, SPÖ und Anzengrubers Liste (die sich selbst Weiß als Parteifarbe gegeben hat). Denn: Die rechnerischen Möglichkeiten, kombiniert mit dem politisch Denkbaren und bereits ausgeschlossenen Varianten, machen andere Optionen deutlich unplausibler.

Im Innsbrucker Gemeinderat gibt es 40 Sitze, für eine politische Mehrheit braucht es daher 21 davon. Eine Mitte-rechts-Koalition aus Ja – Jetzt Innsbruck, Freiheitlichen und Florian Turskys De-facto-ÖVP-Liste Das neue Innsbruck hätte zusammen nur 19 Mandate. Eine Koalition rechts der Mitte ließe sich allerdings formen, wenn sich die kleine Liste Fritz, eine liberale ÖVP-Abspaltung, hinzugesellen würde. Deren Frontfrau Andrea Haselwanter-Schneider hat diese Variante zuletzt aber ausgeschlossen.

Rein rechnerisch ebenfalls möglich wären Koalitionen quer durch das politische Spektrum. Eine Zusammenarbeit von Ja – Jetzt Innsbruck, SPÖ und FPÖ käme zum Beispiel auf die nötigen 21 Mandate. Die Sozialdemokratie hat aber nicht eben drängendes Interesse an einer Koalition mit der Freiheitlichen bekundet.

Summa summarum bleibt als wahrscheinliche neue Koalition in Innsbruck also die vom bisherigen Stadtchef Willi an­gestrebte "Caprese-Koalition". Die normative Kraft des Realpolitischen dürfte auch für Anzengruber nämlich ein gewichtiger Faktor bei der Formung seiner neuen Innsbrucker Stadtregierung werden. (Martin Tschiderer, 28.4.2024)