Einst ein kleines keltisches Örtchen am linken Traunufer in Oberösterreich, entwickelte sich das heutige Wels im 1. Jahrhundert nach Christus zu einer bedeutenden römischen Siedlung. Aufgrund seiner verkehrsgünstigen Lage wurde das antike Ovilava unter Kaiser Hadrian (117–138 n. Chr.) schließlich sogar zur Stadt erhoben und bildete lange Zeit ein wichtiges römisches Verwaltungszentrum an der Norischen Hauptstraße.

Doppelgrab im Welser Gräberfeld Ost
Das Doppelgrab im Welser Gräberfeld Ost kurz nach seiner Freilegung im August 2004.
Foto: Stadtmuseum Wels

Die römischen Jahrhunderte hinterließen den modernen Archäologinnen und Archäologen ein spannendes Betätigungsfeld, nicht immer freilich unter den besten Umständen: Verschiedene Bauvorhaben im Bereich des sogenannten östlichen Gräberfeldes machten in den 2000er-Jahren mehrere Notgrabungen notwendig, bei denen zahlreiche römerzeitliche Bestattungen dokumentiert wurden. Eine davon, bei Grabungen vor der Neugestaltung des Bahnhofsvorplatzes im August 2004 entdeckt, entpuppte sich als ausgesprochene Besonderheit.

Ein Pferd und zwei Schmuckstücke

Das sogenannte Körpergrab Nr. 12 enthielt eine ungewöhnliche Doppelbestattung, zwei Menschen, die einander fest umschlungen hielten. Oberhalb der Skelette lag der Schädel eines Pferdes, unter den menschlichen Gebeinen kam der Rest des Tieres zum Vorschein, die Hinterläufe fehlten, vermutlich wegen einer Störung der Grabgrube.

Aus der Tiefe des Grabes, der Pferdebestattung, der Ausrichtung der Toten und einigen weiteren Fundumständen schlossen die damaligen Forschenden, dass es sich wohl um eine bajuwarische Bestattung aus dem 7. Jahrhundert handeln müsste, wahrscheinlich Mann und Frau, wie die Körperhaltung suggerierte. Letzteres konnte zunächst aber nicht durch anthropologische Untersuchungen abgesichert werden.

Zusammenfassung der Funde
Zusammenfassung der Funde: a zeigt eine grafische Darstellung der Doppelbestattung. b und c illustrieren den Fundort innerhalb des Gräberfeldes. d: die Grabbeigaben, zwei goldene Anhänger. e und f zeigen Aufnahmen der beiden Individuen und der Pferdeüberreste.
Grafik: Dominik Hagmann

Ein wichtiges Detail dieses Fundensembles passte jedoch nicht so ganz ins Bild: Die Bestattung enthielt nämlich zwei Schmuckstücke aus Gold, die in eine deutlich frühere Epoche verwiesen. Eines davon, ein fein gearbeiteter Radanhänger mit acht als Perldraht geformten Speichen, gleicht bis ins Detail einem Anhänger aus dem römischen Schatz von Regensburg-Kumpfmühl, der knapp nach 166 n. Chr. vergraben worden ist. Die beiden Anhänger lagen im unmittelbaren Umfeld des Schädels des rechten Skelettes.

500 Jahre älter als gedacht

Doch das alleine muss für die Datierung nicht viel heißen, denn römischer Schmuck wurde immer wieder über lange Zeit verwendet, in einigen Fällen bis weit ins Mittelalter hinein. Nun aber hat eine umfassende Neuuntersuchung der Funde, bei der modernste bioarchäologische und archäogenetische Methoden zum Einsatz kamen, überraschende Erkenntnisse gebracht und die bisherigen Einschätzungen über den Haufen geworfen.

2 goldene Anhänger aus dem Grab 12 in Wels
Die beiden goldenen Anhänger aus dem Grab 12 in Wels stammen aus der Römerzeit.
Foto: OÖ Landesmuseum

Einem Team unter der Leitung der Anthropologin Sylvia Kirchengast und des Archäologen Dominik Hagmann von der Universität Wien ist es gelungen, das Grab auf das 2. Jahrhundert n. Chr. neu zu datieren, die Altersbestimmung der Knochen mit der C-14-Methode ergab einen Todeszeitraum von 100 bis 155 n. Chr. Damit sind die beiden Verstorbenen um rund 500 Jahre älter als bisher angenommen, was auch mit dem Alter der beiden Schmuckstücke besser vereinbar wäre.

Doch die Wissenschafterinnen und Wissenschafter fanden noch viel mehr über die Toten heraus. Die Gruppe konnte anhand ihrer osteologischen und genetischen Analysen das biologische Geschlecht und die familiären Verhältnisse der Bestatteten klären: Bei den Skeletten handelt es sich offenbar nicht um Mann und Frau, sondern um zwei Frauen, die in direkter Verwandtschaft zueinander standen. Aufgrund des festgestellten Alters von 45 bis 60 und 20 bis 25 Jahre dürfte man hier Mutter und Tochter vor sich haben, wie das Team im Journal of Archaeological Science: Reports berichtet.

Rekonstruktion der kombinierten Mensch-Tier-Bestattung
Etwa so könnte die kombinierte Mensch-Tier-Bestattung vor fast 2000 Jahren ausgesehen haben. Die beiden Toten waren wahrscheinlich ursprünglich auf den Kadaver gebettet worden, bevor das Grab zugeschaufelt wurde.
Illustr.: Jona Schlegel

Vielleicht eine Krankheit

"In römischer Zeit waren Bestattungen, bei denen Menschen neben Pferden beerdigt wurden, sehr selten", sagte Hagmann. Noch außergewöhnlicher sei aber, dass es sich um die erste Bestattung aus der römischen Antike in Österreich handelt, bei der durch DNA-Analysen eine biologische Mutter und ihre leibliche Tochter, die noch dazu gleichzeitig bestattet wurden, eindeutig identifiziert werden konnten.

Der genaue Hintergrund der Doppelbestattung bleibt zwar rätselhaft, doch das Forschungsteam hat eine Theorie: Möglicherweise starben beide gleichzeitig an einer Krankheit und wurden nach einer Tradition aus der späten Eisenzeit zusammen mit ihrem Pferd bestattet. Indizien für eine Verbindung zu dem Tier gibt es jedenfalls: Die ältere Person weist Skelettmerkmale auf, die auf häufiges Reiten hinweisen könnten. (tberg, 6.5.2024)